Breaking Mad – Alle auf dem Teppich bleiben!

Der Abend bricht herein, die Sonne steht schon und wirft einen letzten, spärlichen Lichtstrahl in Konferenzsaal C. Die Kentia-Palme, die dem Raum eine beruhigende Note verpassen sollte, lehnt verkrampft gegen das Fenster. In der Mitte des Raumes steht ein großer, runder Tisch, der nunmehr von leeren Kaffeetassen, zerknüllten Notizblättern und unbesetzten Stühlen geziert wird. Noah und Serena sind die Letzten hier. Beide sind vom anstrengenden Tag gezeichnet. Besonders das letzte Meeting hat sie längst mehr Nerven gekostet, als die beiden Projektpartner zugeben wollen. Eine ganze Weile sitzen sie schweigend da. Das einzige Geräusch kommt von der leise surrenden Klimaanlage.

Schließlich fasst sich Noah ein Herz, lehnt sich zurück, reibt sich erschöpft übers Gesicht.
„Ich glaub, ich hab’s eben etwas übertrieben.“

Serena hebt den Blick. „Beim Meeting?“ Sie atmet hörbar aus. „Ja, das war … suboptimal.“
Er nickt beschämt. „Ich war zu laut, oder? Ich meine … ich habe zwar nicht gebrüllt, aber es war schon ziemlich unangenehm …“ Serena gibt ein uneindeutiges Hm von sich.


„Ich habe mich einfach so machtlos gefühlt“, fährt Noah fort. „Jeder zieht in eine andere Richtung, keiner hört mir zu. Ich hatte echt das Gefühl, ich bin der Einzige, der versucht, das Chaos zu ordnen.“

Serena nickt langsam. „Ich weiß, was du meinst. Und ehrlich gesagt – mir ging’s ähnlich. Nur dass ich in dem Moment dachte, ich sollte ruhig bleiben. Als eine Art Gegenpol, du weißt schon. Damit das hier nicht völlig eskaliert.“
Noah sieht sie unverständlich an. „Gegenpol? Du hast kaum was gesagt.“
„Ja“, gibt sie zu und atmet erschöpft aus, „weil ich befürchtet habe, nur Öl ins Feuer zu gießen. Aber ich schätze, das war nicht wirklich hilfreich.“
„Nicht wirklich“, murmelt Noah. „Ich habe mich dadurch echt alleingelassen gefühlt.“

Er zögert. „Ich glaube, uns entgleitet das Projekt … Wenn das so weitergeht … Ich wollte nur alle irgendwie unter Kontrolle bekommen und dafür sorgen, dass das Team endlich seine Aufgaben trägt …“
Serena nickt und denkt kurz nach. „Ich würde sagen, wir haben beide versucht, die Kontrolle zu behalten. Nur eben auf unterschiedliche Weise. Du durch Druck, ich durch Rückzug.“
Sie tauschen ein mattes, aber ehrliches Lächeln.
„Und beides funktioniert nicht“, schließt Noah.
„Nein, offensichtlich nicht“, antwortet Serena. „Aber was ist die Alternative?“


Noah überlegt. „Vielleicht … weniger Kontrolle?“
„Klingt riskant“, sagt sie, aber ihr Ton ist nicht ablehnend.
„Na ja“, sagt Noah, „wir müssen irgendwie lernen, früher zu erkennen, wann’s kippt. Bei uns selbst und im Team. Ich merke immer erst hinterher, dass ich überreagiert hab.“
„Ich spüre die Spannung schon, aber ich versuche dann, sie irgendwie wegzudrücken. Aber das führt dann meistens dazu, so wie heute, dass sie sich festsetzt. Wahrscheinlich ist das der Punkt, an dem man runterfahren müsste, statt gewaltsam Kontrolle über das Chaos an sich zu reißen.“
Noah nickt zustimmend.

„Klingt ja im Grunde logisch. Aber dann müsste man auch wissen, wie das gehen soll. Ich kann ja nicht jedes Mal anfangen zu meditieren, wenn’s stressig wird.“
„Nee“, schmunzelt Serena, „aber vielleicht hilft’s ja schon, kurz zu stoppen, bevor man reagiert. Zwei Sekunden. Tief durchatmen. Und sich dann selbst bewusst machen: Okay, ich bin zwar wütend, aber ich kann diese Energie nutzen, um konstruktiv zu handeln. Selbstregulation.“
Noah nickt bedächtig. „Nicht runterschlucken, aber auch nicht explodieren.“
„Genau“, sagt seine Gegenüber. „Und wenn man das hinkriegt, kann man bestimmt auch besser auf andere reagieren. Nicht nur auf das, was sie sagen, sondern auf das, was dahintersteckt.“


„Ja, ja, Empathie und so“, murmelt Noah und muss schmunzeln. „Aber bitte ohne dieses ‚Wir müssen uns alle liebhaben‘-Getue.“
„Na klar“, lacht Serena, „aber auf jeden Fall mehr verstehen als mitleiden. Zum Beispiel: Wenn Ben immer wieder Aufgaben abgibt, die nur halb fertig sind, dann liegt das ja eventuell nicht daran, dass er faul ist – vielleicht ist er überfordert!“
„Oder er weiß nicht genau, was wir von ihm erwarten“, gibt Noah zu bedenken.
„Stimmt“, gibt Serena zu. „Dann läge der Fehler bei uns, in der Kommunikation.“
Ihr Gesprächspartner lehnt sich nach vorne. „Da müssen wir wohl dran arbeiten … Wir müssen klarer koordinieren. Und das heißt auch, wir müssten besser dafür sorgen, dass man Dinge ansprechen kann, ohne Angst zu haben, dass jemand ausrastet“, schließt er etwas kleinlaut.


„Genau. Ich glaube, den anderen einen sicheren Raum für ehrliche Rückmeldungen zu geben, würde das Klima verbessern und das Vertrauen insgesamt stärken. Sowohl in uns als Projektleitung als auch in die Teammitglieder gegenseitig. Ohne Vertrauen, ohne Basis kommen wir im Projekt nicht weiter.“
„Stimmt wohl“, gibt Noah zu. „Vertrauen ist die Grundlage für Motivation. Wenn man sich nicht sicher fühlt, traut man sich auch nicht, Verantwortung zu übernehmen.“ Beide geben sich einen Moment ihren Gedanken hin. Dann fährt er fort: „Dann haben wir also eine Kette: Selbstregulation, Empathie, Vertrauen, Motivation.“
„Das klingt fast wie ein System“, sagt Serena munter. „Aber wir müssen das beide verfolgen. Nicht nur theoretisch, sondern praktisch durchziehen!“ „Ich versuche, beim nächsten Mal nicht so impulsiv zu sein – aber falls ich das nicht hinkriege –“ „– werde ich mich nicht zurückziehen und versuchen, dich zu stützen. Versprochen.“ „Okay. Und andersrum natürlich ebenso: Wenn ich merke, dass du anfängst, dich abzuschotten, werde ich darauf achten, zurückzuschrauben und dich wieder mit ins Boot zu holen.“


„Und wenn wir das beide erfolgreich trainieren, können wir das dem Team auch weitergeben“, sagt Serena. „Genau“, sagt Noah, jetzt energetischer. „Wir leben es vor, nicht perfekt vielleicht, aber sichtbar. Und wir sollten diese Nachbesprechungen weiter pflegen, denke ich, zum gegenseitigen Reflektieren. Ganz offen.“
„Transparenz“, nickt Serena. „Bevor es knallt, lieber knallhart ehrlich. Respektvoll natürlich.“
Noah ergänzt noch: „Vor allem in Stressmomenten. Ich weiß von mir selbst, wenn jemand laut wird, heißt das ja meistens nur, dass man sich nicht gehört fühlt.“


Serena stimmt ihm nachdrücklich zu. „Dann wäre Deeskalation nicht nur hohles Beschwichtigen, sondern echtes Zuhören.“
Beide grinsen sich hoffnungsvoll vergnügt an. Dann überlegt Noah laut: „Ich habe immer das Gefühl, um stark zu führen und seine Autorität zu behalten, muss man Druck ausüben, im Zweifel eben auch hart durchgreifen. Aber ich schätze, Stärke heißt nicht zwingend, immer und unter allen Umständen die Kontrolle zu behalten, sondern sich auch mal zu öffnen, Empathie zu zeigen und Verantwortung abzugeben …“


„Und Ruhe zu zeigen, heißt ja nicht, nichts zu sagen“, ergänzt Serena. „Sondern präsent zu bleiben und Leute abzuholen, wenn’s turbulent wird.“
Sie sehen sich an. Zum ersten Mal seit Tagen fühlen beide, wie ihre Anspannung verebbt und vorsichtiger Optimismus aufkommt.
Noah steht auf und holt eine halbvolle Flasche Wasser aus seiner Tasche. Er nimmt ein paar Schlucke und wendet sich erneut an seine Kollegin. „Wie kriegen wir das alles hin – ganz konkret?“
„Klein anfangen und eins nach dem anderen.“ Serena steht nun auch auf und reibt sich kurz die Augen. „Wir checken uns jeden Tag: Wie geht’s dir, was brauchst du, was läuft schief? Kein Meeting, einfach nur kurz ehrlich austauschen.“
„Klingt fast banal“, sagt Noah und lächelt schief in ihre Richtung.


„Und wenn wir merken, dass das klappt und wir dadurch besser funktionieren, können wir das ins Team tragen“, fährt Serena fort. „Damit alle wissen, dass Emotionen zwar dazugehören, aber nicht alles bestimmen müssen.“
„Weniger Feuerwehr, mehr Wetterdienst“, sagt Noah und muss ein Lachen unterdrücken. Seine Projektpartnerin zieht die Stirn in Falten, doch sie ist sichtlich belustigt über seinen Kommentar. „Du meinst, weil wir früh merken, wenn’s stürmt, und reagieren, bevor es überhaupt anfängt zu brennen?“ „Yup“, gibt Noah zufrieden zurück.


Er hebt seine nun fast leere Wasserflasche und toastet ihr zu. „Auf gemeinsames Lernen.“
„Und auf weniger Krieg im Konferenzraum“, ergänzt Serena. Sie nicken sich zu, nun weitaus weniger niedergeschlagen, sogar mit einem Anflug von Enthusiasmus.


Draußen ist die Sonne nun hinter dem Horizont versunken, und bevor beide Projektpartner den Saal C verlassen, schauen sie sich um. Für einen Moment wirkt der Raum größer – als hätten beide etwas wiedergefunden, das in dem Stress und dem Gefühlschaos des vergangenen Meetings verloren gegangen war … Morgen wird ein guter Tag werden.