Deadline als Tragödie

Ein perfekter Plan

Ein neues Projekt steht an. Die Leitung ist optimistisch, die Mitarbeitenden sind hoffnungsvoll und motiviert. Der Projektplan spiegelt den Tatendrang des Teams wider. Es soll ein glorreiches Unterfangen sein, die Vertriebsversprechen sind ambitioniert. Das Budget ist definiert, die Ziele scheinbar klar abgesteckt, die ersten Meilensteine manifestieren sich bereits am Horizont. Schließlich wird die Deadline gesetzt – es wird Zeit, zur Tat zu schreiten. Das unerschütterliche Team ist guter Dinge: „Das schaffen wir!“

Hybris (AKA Auf den ersten Blick erscheint der Berg als Hügel)

Zu Beginn der Anlaufphase scheint alles noch gut zu gehen. Doch allmählich schleicht sich ein unwillkommener Verdacht ein … Auf einmal fällt auf: Es fehlt ein Tool, das vermutlich essenziell sein wird. Einigen Mitarbeitenden fehlen Software-Berechtigungen, ohne die sie ihre Aufgaben nicht erledigen können. Ein paar neue Entscheidungen über die Planänderungen müssen getroffen und bewilligt werden – doch … wer war noch gleich zuständig?

Dann die Auflösung: Die Verantwortlichen sind im Urlaub. Nachdem auch die Projektleitung kurzzeitig wegen Krankheit ausfällt, ist der erste geplante Meilenstein bereits überfällig.
Dennoch: Ein paar kleine Verzögerungen können dem Team nicht im Weg stehen – die sind schließlich aufzuholen. „Wir können das noch schaffen!

Nemesis: Die Zeit läuft

Doch leider bleibt es nicht dabei. Aus ein paar „kleinen Verzögerungen“ erwachsen weitere Fortschrittsausfälle. Unmut macht sich breit. Die Kommunikation fängt an zu stocken.
Bald darauf besteht der Projektalltag überwiegend aus scheinbar endlosen Diskussionen über Zuständigkeiten, Schuldzuweisungen und Machbarkeiten. Die Anforderungen setzen sich über die Realität hinweg und gewähren Frustration und Widerwillen, das Team zu spalten.


Die Projektleitung rauft sich die Haare: „Das muss doch zu schaffen sein.“ Doch das aufgebrachte Team schleicht dem Plan zunehmend langsamer hinterher. Die Mitarbeitenden treten sich gegenseitig auf die Füße, und schließlich verhindern divergierende Ziele der einzelnen Gruppen vollständig das Fortschreiten des Projekts.


So geht es nicht weiter – die Konflikte müssen beigelegt werden, bevor der nächste Meilenstein erreicht werden kann. Es folgt eine Tirade an Team-Meetings. Die Projektleitung gibt ihr Bestes, um die Konflikte zu lösen und der emotionalen Belastung der Mitarbeitenden entgegenzuwirken. Das Vertrauen in den Plan scheint etwas zu steigen.


Als der nächste Meilenstein greifbar ist, atmet das Team erleichtert auf. „Es ist doch noch zu retten!“ Die neugewonnene Energie schürt Hoffnung. Doch der frische Motivationsschub hat wertvolle Zeit gekostet, und längst nicht alle Steine konnten dem Projekthergang aus dem Weg geschafft werden. Und so verrinnt eine Woche nach der anderen – unaufhörlich und erbarmungslos …

Die Katastrophe

Eines Morgens erwartet das Team eine Nachricht: Die Stakeholder hoffen auf eine positive Rückmeldung bezüglich des Projektfortschritts – jetzt, da die Deadline so unmittelbar bevorsteht …
Unmittelbar? Eine furchtbare Einsicht lässt das Team erzittern. Die Deadline ist nahe – zu nahe!
Panik breitet sich aus. Das Team samt Leitung versucht alles, um die Rückstände aufzuholen: Überstunden werden geschoben, Last-Minute-Besprechungen angesetzt, eine Entscheidung nach der anderen wird veranlasst und übereilt ausgeführt.


Doch eine Katastrophe jagt die nächste: fehlende Ressourcen, noch mehr Ausfälle, Abhängigkeiten und Aufgaben blockieren sich gegenseitig. Schließlich noch ein Schlag: Das Budget ist versiegt.
Panik und Verzweiflung lähmen das ohnehin bereits angeschlagene Team.
Es wird um einen Aufschub gebeten: Nur ein kleines bisschen mehr Zeit und Geld könnten alles retten! Nur ein kleines bisschen mehr Budget – ein winziges bisschen!
Bloß noch ein oder zwei Wochen, ein paar wenige Tage zusätzlich …


Doch das Ende ist unausweichlich. Der Schock kommt mit der Einsicht: Die Zeit ist um!

Die Tragödie

Alles ist verloren. Die Deadline ist verstrichen. Wie konnte das passieren?
Das Team ist ratlos, die Projektleitung geknickt. „Wir hätten es doch bestimmt geschafft!“
Schuldzuweisungen machen die Runde: Hätte X doch dies getan, wenn Y nur jenes vorher gesagt hätte, wenn Z uns das gleich ermöglicht hätte …

„… dann hätten wir es doch sicher hinbekommen.“ Oder etwa doch nicht?
Allmählich wird klar: Der Fehler lag bereits am Anfang. Der perfekte Plan, der von einem perfekten Verlauf ausging, war zeitlich schlicht zu knapp bemessen.

Und die Folgen sind schwerwiegend: Nicht nur das Team ist demotiviert, auch die Ressourcen sind erschöpft. Das nächste Projekt, das bereits hätte beginnen sollen, muss umgedacht und ebenfalls verschoben werden. Die Unternehmensführung sitzt auf glühenden Kohlen, das Vertrauen der Stakeholder ist erschüttert – und gerade jetzt muss das Budget ausgeweitet werden.
Nicht nur intern, sondern auch extern ist der Reputationsschaden spürbar: Umsätze brechen ein, die Konkurrenz gewinnt an Vorsprung.


Der Rattenschwanz der verpassten Frist will scheinbar nicht enden.
Um das Image wiederherzustellen, wird es abermals mehr Zeit, mehr Ressourcen, mehr finanzielle Mittel, mehr Engagement benötigen. Was für ein Schlamassel …

Da muss eine Ursachenanalyse ran!
Die Fehleinschätzungen, die bereits während der ersten Planung des Projekts gemacht wurden, hatten schwere Folgen: Technische Rücksprachen waren mangelhaft oder wurden gar nicht erst getroffen, Kommunikationswege sind unergründet geblieben, Aufgaben nicht klar verteilt, die Interessen aller Beteiligten größtenteils nicht bedacht …

Letztendlich war der große Optimismus Schuld an den überschwänglich gesteckten Zielen und der hochgesteckten Erwartungen.
Zusammen mit den fehlenden Pufferzeiten konnte dies nur zu einem Ende führen: ein mit Konflikt gesäumter Weg, der in einem Fehlschlag endet.

Doch das nächste Projekt steht schon in den Startlöchern – und eine solch unrealistische Planung wird dem Team nicht noch einmal den Erfolg kosten! Was hat es also gelernt? Klare Zuständigkeitsverteilungen, transparente Kommunikation, Ehrlichkeit und wahrhaftig realistische Einschätzungen (anstelle von Wünschen oder kühnen Erwartungshaltungen) sind mindestens genauso wichtig wie Motivation oder die Methodenkompetenz der Projektleitung. Wenn dies berücksichtigt wird, funktionieren selbst die besten Pläne!